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Ausstellung in der Praxisklinik Villa Thormeyer 2019/2020


Des Tages lichter Schein...


„Goldblaue Fülle“, „Halme im Winterlicht“, „Gräserrolle“, „Grasnester“, „Gräsermelodie“ – Farbe und Licht, Gespinste, Geknäuel: Es ist eine eigene Bilderwelt, die uns hier umgibt: „Des Tages lichter Schein“ nannte die Künstlerin ihre Ausstellung, frei inspiriert von den Worten „Mutger Augen lichter Schein“ von Joseph von Eichendorff, dem großen schlesischen Romantiker, der so atmosphärisch wie kein zweiter melancholische Naturstimmungen, des Menschen Weg ins Offene musikalisch beschrieb, lyrisch besang. – Stille Gründe, Waldhornklänge, ein Schloss, verwunschene Gärten…


Nein, solches präsentiert uns Constanze Hohaus nicht. Die „mutgen Augen“ sind aber dennoch die ihren: Wie Eichendorff sucht sie nach dem Licht, widmet sich intensiv dem Farbenspektrum, betreibt Naturstudien im Gras, sei es feucht, sei es trocken, betrachtet wie es funkelt, leuchtet, glänzt. Dem Reiz des Lichtes, seiner Kraft und Fülle in der Natur, im Gras – dem geht sie nach. Schon einige Jahre. Durch Nahsicht kommt sie zur Vertiefung. Dem Wuchernden und gebändigten Wilden widmet sie sich, dem Gras als einem Sinnbild des Lebens, Ausgangspunkt von Gedanken, die weit tragen – hoch in den Himmel, in andere Sphären.


Im Gras zu liegen, in den Himmel zu schauen, in die Sonne zu blinzeln, bei sich zu sein: Wer träumt nicht manchmal davon! Bei Constanze Hohaus sind Gras, Farbe, Licht aber nicht nur ein Loblied auf die Schönheit und Vielgestalt des Daseins. Es spielt auch Metaphysisches hinein, eine Verinnerlichung des Sehens, Denkens, Malens. „Die Gratwanderung zwischen Naturlogik und meiner seelischer Gestimmtheit ergeben … für mich ein malerisches Abenteuer zwischen Harmonie und Überraschung“, meint sie. Das Gegenständliche gibt sie dabei nicht auf, wenngleich sie sich vom unmittelbaren Abbild löst und zusehends reine Strukturen verfolgt – Liniengeflechte und Strichformationen –, die zum Träger von Licht und Farbe werden. Gras wird zur Bildmetapher, „zum Gleichnis für die Widerstandskraft der Natur“, wie sie selbst sagt. Im eigenen schöpferischen Prozess offenbaren sich das Prometheische der Kunst und gleichzeitig ihre transzendentale Bedeutung als Mittel zum Lob der Schöpfung.

Der Hamburger Barockdichter Barthold Heinrich Brockes hat in Betrachtung in allen Farben glitzernden betauten Grases in seiner Gedichtsammlung „Irdisches Vergnügen in Gott“ 1752 geschrieben: „Die Seel´/ hiedurch gerührt / lenckt selbst sich himmelwärts / Und denckt: / Wie wunderschön / wie unergründlich hell / wie undurchdringlich licht / wie unerforschlich rein / wie unbegreiflich klar muss aller Dinge Quell / muss aller Dinge Schöpffer / seyn.“ Genau dies haben schon die Maler des Mittelalters und der Renaissance gemeint, wenn sie auf ihren Madonnenbildern die zartesten Wiesenstreifen mit Rispengräsern, Löwenzahn und Erdbeerblüten wiedergaben. Denken wir nur an Albrecht Dürers „Großes Rasenstück“. Ein Stück Paradies auf Erden.


Und das ist es auch, in anderer Zeit, anderer Form, was uns Constanze Hohaus vor Augen führt. Sei es in den großen Gras- und Licht-Formationen, sei es in den kleinen Landschaften, die entstanden sind, gerade weil sie gerne unterwegs ist, ohne gleich auf ein Ziel, ein Ergebnis hin orientiert zu sein – nicht von ungefähr fand sie dabei Motive, die schon den Dresdner Romantiker des 19. Jahrhunderts, Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Ludwig Richter, unterwegs gewissermaßen in den Schoss fielen, ganz ohne dass sie sie gezielt gesucht hätten.

Entdeckungen am Wegesrand: Constanze Hohaus kam über gefundene Steine zum Gras. Und zu den Steinen wiederum ist sie über das Holz gelangt, über den Holzschnitt, mit dem sie das Motiv des Steines erkundete. Vom Material zur Materie. Geschärft hat sich der Blick der Künstlerin nach unglaublich intensiven, lauten, sinnen- und farbreichen Eindrücken in Indien 2014. Im Kontrast dazu hat ihr der Impuls zur intensiveren Wahrnehmung des Nahen und Stillen, das oft übersehen wird, neue Inspiration gebracht.


Ich finde es deshalb sehr schön, dass die Künstlerin hier auch einige ihrer Farbholzschnitte präsentiert, Zeugnisse ihres virtuosen Umgangs mit dieser alten grafischen Technik, der sie sich seit längerer Zeit intensiv widmet. „Achtsamkeit“, „Halten“, „Wasserschöpfen“, Gräser mit Blüten, Hände und schließlich auch zwei ihrer Dresden-Blätter – „Tolkewitzer Hungerstein“ und „Frauenkirche mit Kunsthochschule“ – gesellen sich als spannungsvolle Pendants zum Gras in Öl und entfalten gerade in diesen schönen Praxisräumen eine kraftvolle Selbstverständlichkeit.

Walt Whitman, der große amerikanische Naturdichter, ein Jubilar notabene, geboren vor 200 Jahren, hat seine wichtigste Gedichtsammlung „Leaves of Grass - Grashalme“ genannt – eine Ode an das Beobachten und Betrachten. Seine Worte sollen meine Ausführungen abschließen und eine Einladung zu Ihren ganz eigenen Begegnungen mit den Bildern von Constanze Hohaus sein:


„Ich feiere und lade meine Seele zu Gast; 

Liege auf dem Erdboden, behaglich halte ich Rast und betrachte einen Halm vom Sommergras. (…)

Ein Kind sagt: Was ist das Gras? Und brachte es mir mit vollen Händen;

Wie konnte ich dem Kinde Antwort geben? Ich weiß es ebenso wenig.

Ich meine, es müsste die Fahne des Herzens sein, ganz aus einem hoffnungsgrünen Stoff gewoben.

Oder ich meine, es ist des lieben Gottes Taschentuch. 

Eine duftige Gabe und ein Andenken, das mit Absicht fallengelassen wurde.

Und das in irgendeinem Zipfel den Namen des Eigners trägt, damit wir sehen, bemerken und sagen können:

Wessen? …“ 


        Dr. Marius Winzeler